Fasziniert von der Vielseitigkeit des Papiers, arbeitet die freiburgische Künstlerin Viviane Fontaine seit 40 Jahren mit diesem Material. Eine Leidenschaft, die sie bereits in jeden Winkel der Welt gebracht hat.
Mit einem durchsichtigen Plastikhandschuh an ihrer Hand winkt sie aus dem Fenster ihres Ateliers. Ihr herzliches «Bienvenue» durchbricht die Stille im abgelegenen Dorf Cerniat, im freiburgischen Gruyère. Im Atelier, das sich im Dachgeschoss ihres Hauses befindet, herrscht Ordnung in der künstlerischen Unordnung. Sie räumt ein grünes Kleid, dessen Form sie gerade umändert, zur Seite. Rund um den niedrigen, abgenutzten Holztisch stehen drei viel zu hohe Hocker.
Die Transformation von einem Material zu einem anderen ist magisch.
Kunst mit Papier
Viviane Fontaine putzt sich die Brille an ihrem grün schimmernden Foulard und ist bereit, aus ihrem Leben zu erzählen. Aus einem Leben, das geprägt ist von intensiven Arbeitsstunden, internationalen Ausstellungen und künstlerischer Freiheit. «Meine Eltern hatten mit Kunst nichts am Hut», sagt Viviane Fontaine. Für sie sei aber seit jeher klar gewesen, dass die Kunst zu ihrem Lebensmittelpunkt werden soll. Beim Erzählen lässt sie immer wieder ihren Blick durch das Atelier schweifen. In jeder noch so kleinen Nische stehen fertige Kunstwerke, die in Ausstellungen rund um den Globus bewundert wurden. Was ihre Arbeiten so einzigartig machen, ist das Material. Ihre Leidenschaft, das Papier, ist die Basis ihrer Kunst. Sie schöpft es selbst. «Die Transformation von einem Material zu einem anderen ist magisch», sagt Fontaine voller Euphorie. Man könne damit so unterschiedliche Dinge erstellen. Hauptsächlich arbeitet sie mit zwei verschiedenen Arten von Papier: dem «papier chiffon» und dem «papier japon». Für die Herstellung des ersten Papiers, dem Hadernpapier, verwendet sie hauptsächlich heimische Pflanzen. Für das sehr dünne und deshalb lichtdurchlässigere japanische Papier eignen sich japanische Pflanzen mit längeren Fasern jedoch besser. Bei der Herstellung von Papier werden die Pflanzen aufgekocht, zerkleinert und gesiebt. Sechsmal hat sie Japan bereits besucht und immer wieder Neues gelernt.
Ihre Faszination zur japanischen Kultur ist nicht nur am Material sichtbar. Unter einem der Dachfenster steht ein dunkles Holztischchen, welches mit Erinnerungsstücken aus dem Inselstaat dekoriert ist. Um die Unterschiede der Materialien zu verdeutlichen, steht die kleine Künstlerin auf, rückt ihre selbstgestrickte Weste zurecht und läuft zielstrebig in die hinterste Ecke. Diese ist von einem langen, weissen Papiervorhang abgetrennt. Während sie in die Knie geht, um ihre Lieblingsobjekte hervorzukramen, fallen ihr ihre Haare ins Gesicht. Papierkostüme, die vor sechs Jahren in der Oper «Hänsel und Gretel» getragen wurden, Schmetterlinge, deren Flügel aus transparenten Blättern gefertigt wurden und Objekte, die vom Licht- und Schattenspiel leben.
Manchmal führe ich förmlich Krieg gegen das Papier.
Ort der Inspiration
In der laufenden Ausstellung «rétrospective» in Genf gewährt Fontaine zu ihrem 40-jährigen Künstlerjubiläum Einblicke in vergangenes und aktuelles Schaffen. Bis zur Eröffnung müsse sie noch einige Objekte fertigstellen, sagt die Künstlerin und zeigt auf eine riesige, halbfertige Papierkugel. «Manchmal führe ich förmlich Krieg gegen das Papier. Es braucht viel Geduld.» Diese brauchte sie auch im Laufe ihrer Karriere. Sie erinnert sich an ihre Anfänge. «Als Frau musste man auch in der Schweiz um Respekt und Aufmerksamkeit kämpfen, damit man als Künstlerin überleben konnte», sagt Fontaine. Heute sei es etwas besser, aber immer noch nicht komfortabel.
Trotzdem will sie ihrer Linie treu bleiben und nimmt keine Aufträge an: «Ich möchte mir nichts von anderen diktieren lassen.» Um dennoch vom Künstlerdasein leben zu können, bietet sie regelmässig Kurse in ihrem Atelier an, welche ihr dann wiederum Inspiration für neue Arbeiten geben. Beim Verabschieden blickt sie aus dem grossen Fenster auf die verschneite, einsame Landschaft. «Die Natur bringt mich immer wieder auf neue Ideen.» Das Aufhören überlässt die 62-Jährige anderen. Sie wird sich weiterhin leidenschaftlich dem Papier hingeben.
Die Reportage ist in einer Zusammenarbeit mit Julia Koller entstanden.